DIE ZEIT - Nr. 40, 01.10.2015 by Zeitverlag Gerd Bucerius GmbH und Co. KG

DIE ZEIT - Nr. 40, 01.10.2015 by Zeitverlag Gerd Bucerius GmbH und Co. KG

Author:Zeitverlag Gerd Bucerius GmbH und Co. KG
Language: deu
Format: mobi
Published: 2015-09-30T16:00:00+00:00


Ulrich Weinzierl, zuletzt Wien-Korrespondent des Welt-Feuilletons, wollte es wissen. Er reiste nach Venedig und sah sich dort, was vor ihm offensichtlich noch niemand getan hatte, in der Fondazione G. Cini den Nachlass des mutmaßlichen Lügners Geiger an. Er konsultierte in der Handschriftensammlung der Wienbibliothek die Briefe Geigers an Zweigs engen Freund Felix Braun. Und er kam zum reich belegten Schluss, dass Geiger zwar ein unaufrichtiger und hundsföttischer Charakter gewesen ist, dass aber seine Behauptung von Zweigs Exhibitionismus keine Lüge war. Sie findet sich außer in seinen Memoiren auch in einem von Weinzierl entdeckten Brief Geigers an Braun. Sie wird vom grundanständigen Braun in einem wiederum von Weinzierl entdeckten Brief an Geiger bestätigt. Es findet sich der Exhibitionismus als »Schaugepränge«, von Zweig persönlich hingeschrieben in einem wiederum von Weinzierl entdeckten Brief Zweigs an Geiger. Und schließlich zieht sich eine lange Spur des Exhibitionismus seit 1984 für alle lesbar und von niemandem gelesen durch Zweigs gedruckte Tagebücher. Niemand hat sie gelesen, weil auch hier erst Weinzierl kommen musste, um dem unscheinbaren Sätzchen gleich auf der zweiten Seite, »Dann spazieren, Liechtenstein, schaup.«, auf die semantischen Sprünge zu helfen. Dass es um »schauprangern« im Liechtensteinpark geht, sagt der Fortgang: »Das Objekt zu jung noch ohne tieferes Interesse, mehr frappiert als schon an richtiger psychologischer Stelle erfasst. Dies eigentlich weniger aufreizend, aber mehr gefährlich und wäre zu meiden wie Liechtenst. überhaupt.« Doch gemieden hat Zweig gar nichts. Wieder und wieder notiert er, wie konnte man es nur überlesen, im Zusammenhang mit Aventüren in diversen Parks »Gefahr!«. »Ein einziges jener sexuellen Abenteuer« , gestand er, sei ihm mehr als die Uraufführung seines Hauses am Meer im Hofburgtheater, und die Abenteuer »sind doch nur wertvoll durch ihre Gefahr«.

Weinzierl zeigt mit einem fein gesponnenen Netz von Belegen, dass die dunklen Abgründe, über die Zweig im Jahr 1913 mit seiner künftigen Braut korrespondierte, nichts anderes waren als seine zwanghafte exhibitionistische Gefahrsucherei. Aber welchen Platz nimmt der Exhibitionismus in Zweigs Seelenleben ein? Und welche Bedeutung hat dieses sexuelle Seelenleben für sein Werk?

Hier lässt uns Weinzierl etwas ratlos zurück. Er zitiert zwar als seine Maxime Nietzsches feinen Satz: »Grad und Art der Geschlechtlichkeit eines Menschen reichen bis in die letzten Gipfel seines Geistes hinauf.« Aber er folgt der Maxime nur zur Hälfte. Über Grad und Art von Zweigs Geschlechtlichkeit erfahren wir in den ersten zwei, der Ehe und der Homosexualität gewidmeten Kapiteln alles Erdenkliche. Kürzere und längere, heftige, milde und platonische Episoden paradieren in bunter Revue. Weit war das homosexuelle Milieu, in dem sich der höchstens sehr kurzzeitige Teilzeit-Schwule Zweig bewegte, um es in Veröffentlichungen dann doch wieder auf verlogenem Abstand zu halten. Erdichtete Kleinmädchenliebe und Knabenadoration dürfen nicht fehlen. All das gibt Weinzierl in einem gelehrten und glänzend geschriebenen Figurenreigen, tolle Auftritte von Klaus Mann, penible des Kindesmissbrauchers Adolf Loos und des Exhibitionisten Peter Altenberg. Leider ist im Nahkampf der Zitate öfter etwas unklar, wohin die Reise eigentlich geht. Auch trauert man Weinzierls großartiger Schnitzler-Monografie nach. Die Verquickung von Intimbiografie und Werk, die dort so überzeugend gelang, bleibt hier auf der Strecke.



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